Einsatz von Hilfsmittel am Arbeitsplatz: Interview mit Geert Vindervogel

In diesem Interview teilt Geert Vindervogel von Health2Work, ein Experte im Bereich Ergonomie und Hilfsmittel, wertvolle Einblicke in die Nutzung ergonomischer Hilfsmittel. Er spricht über die Vorteile, Herausforderungen sowie Tipps und praktische Beispiele für Anwendungen in verschiedenen Arbeitsumgebungen.

Einsatz von Hilfsmittel

Welche Vorteile bieten ergonomische Hilfsmittel bei der täglichen Arbeit?
Ergonomische Hilfsmittel können die Belastung des Körpers reduzieren, wodurch Beschwerden z.B. an Rücken, Nacken oder Schultern verringert werden können. Dies führt zu einer höheren Leistungsfähigkeit, mehr Komfort und weniger Krankheitsausfällen. Das wirkt sich nicht nur positiv auf die eigene Arbeit aus, sondern auch auf die Zusammenarbeit mit den Kollegen und die Arbeitsatmosphäre.

Wie findet man heraus, welche Hilfsmittel für den eigenen Arbeitsplatz geeignet sind?
Es ist sinnvoll, gemeinsam mit einem Ergonomie-Coach oder Spezialisten den Arbeitsplatz zu analysieren. Dabei wird unter anderem betrachtet:

  • Wie sieht der Arbeitsplatz aus?
  • Welche Aufgaben werden ausgeführt und wie oft?
  • Gibt es bereits Beschwerden?

Auf dieser Grundlage wird eine Empfehlung gegeben, beispielsweise zur Anpassung des Arbeitsplatzes, der Arbeitshaltung oder zum Testen bestimmter Hilfsmittel. Wichtig ist, neue Hilfsmittel zunächst etwa einen Monat zu testen, um festzustellen, ob sie tatsächlich helfen. Wenn man längere Zeit in einer falschen Haltung gearbeitet hat, wie z. B. mit einer Standardmaus statt einer vertikalen Maus, kann die Umstellung auf ein ergonomisches Hilfsmittel anfangs unbequem sein oder sogar Schmerzen verursachen. Die Hand und das Gehirn brauchen Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen – ähnlich wie beim Einlaufen neuer Schuhe oder beim Gewöhnen an eine neue Matratze.

Außerdem funktioniert nicht jedes Hilfsmittel bei allen Menschen gleich gut. Was für den Kollegen optimal ist, muss für einen selbst nicht ideal sein. Daher ist es wichtig, die Hilfsmittel richtig zu erproben und an die individuellen Bedürfnisse anzupassen.

Welche Herausforderungen gibt es bei der praktischen Anwendung von Ergonomie und Hilfsmitteln?
Eine der größten Herausforderungen ist, dass oft erst gehandelt wird, wenn bereits Beschwerden auftreten. Es ist daher wichtig, präventiv zu denken und auf die Signale des eigenen Körpers zu hören. Viele Menschen spüren, wenn sie zu viel tun, ignorieren diese Warnzeichen jedoch. Präventive Maßnahmen zu ergreifen, kostet weniger Zeit und Aufwand, als später Probleme zu lösen, wie z. B. längere Krankheitsausfälle.

Weitere Herausforderungen sind:

  • Mangel an Wissen: Viele Menschen wissen nicht, welche Hilfsmittel verfügbar sind oder wie man sie korrekt benutzt. Ergonomie wird oft auch in Ausbildungen nur unzureichend thematisiert.
  • Rückfall in alte Gewohnheiten: Es ist schwierig, neue Routinen dauerhaft beizubehalten. Regelmäßige Wiederholungen, z. B. in Form von Workshops oder praktischen Übungen, können helfen. Fotos und Beispiele für gute und schlechte Haltungen sind ebenfalls hilfreich, um ergonomische Prinzipien besser zu verstehen.
  • Zeitmangel: Manche glauben, dass es zu viel Zeit kostet, ein Hilfsmittel zu besorgen oder einzustellen, obwohl langfristige Ausfälle durch Beschwerden letztlich viel mehr Zeit und Geld kosten – und die Gesundheit beeinträchtigen.
  • Falsche Erwartungshaltung: Ein häufiger Irrtum ist, dass Hilfsmittel alles ersetzen können. Hilfsmittel sind eine Unterstützung, aber keine Allheilmittel. Man muss weiterhin auf die eigene Haltung achten und sich nicht überlasten. Ein Beispiel: Der Einsatz eines Exoskeletts bedeutet nicht, dass plötzlich schwerere Aufgaben alleine bewältigt werden können. Oder: Eine Aufgabe, die normalerweise zu zweit ausgeführt wird, wird jetzt allein erledigt, weil ein Hilfsmittel vorhanden ist. Das kann gefährlich sein und sollte vermieden werden. Hilfsmittel sind eine Unterstützung, aber kein Ersatz für eine gesunde Arbeitsumgebung.

Wie motiviert man Mitarbeiter Hilfsmittel zu nutzen?
Binden Sie Mitarbeitenden in die Auswahl der Hilfsmittel ein und geben Sie ihnen die Möglichkeit, diese auszuprobieren. Menschen verwenden Hilfsmittel eher, wenn sie diese selbst ausgesucht oder getestet haben.

Schulungen und Workshops sind ebenfalls wichtig, um Wissen aufzubauen oder aufzufrischen. Eine weitere effektive Maßnahme ist die Ernennung von Ergonomie-Coaches innerhalb der Teams. Diese Mitarbeiter werden von Experten geschult und können dann Beratung zur Nutzung von Hilfsmitteln geben, Neue Mitarbeiter einarbeiten und als Ansprechpartner für Kollegen und Lieferanten fungieren.

Welche neuen Trends oder Entwicklungen gibt es?
Es gibt immer mehr technologische Hilfsmittel, wie z. B.:

  • Exoskelette: Diese verteilen die Belastung über den gesamten Körper und unterstützen bei schweren Arbeiten.
  • Biofeedback-Systeme: Diese warnen, wenn man zu lange in einer falschen Haltung sitzt oder steht. Zur Vorbeugung von Schulter-, Nacken- und Rückenbeschwerden.
  • Ergonomische Bürostühle mit Drucksensoren: Diese geben ein Signal, wenn man zu lange stillsitzt oder eine schlechte Haltung einnimmt, und fördern so das Bewusstsein für die eigene Haltung.

Obwohl diese Technologien vielversprechend sind, sind sie oft teuer und befinden sich noch in einer frühen Entwicklungsphase. Sie werden derzeit in verschiedenen Arbeitsumgebungen getestet, um ihre Einsatzmöglichkeiten zu verbessern.

Abbildung 1: Wearables mit Biofeedback. Bildquelle: Spinwise.be
Abbildung 2: Exoskelett. Bildquelle: Universitätsmedizin Magdeburg; Fotografin: Melitta Schubert

Ergonomische Hilfsmittel im Büro

Was sind die Top-5-Hilfsmittel für einen ergonomischen Büroarbeitsplatz?

  1. Ein ergonomischer Bürostuhl, der der NPR1813-Norm entspricht.
  2. Ein höhenverstellbarer Schreibtisch.
  3. Ein Laptophalter, um den Bildschirm auf die richtige Höhe zu bringen.
  4. Eine externe Tastatur.
  5. Eine vertikale Maus, die Hand und Handgelenk in einer natürlichen Position hält.

Abbildung 3: Vertikale Maus                                  Abbildung 4: Laptophalter

Wie fördert man Bewegung im Büro?

Abwechslung ist ganz wichtig. Es wird empfohlen, idealweise alle 45 Minuten die Haltung zu wechseln oder mindestens 4–5-mal pro Tag. Dies kann durch feste Zeitfenster oder Pausen geschehen, in denen man aufsteht oder eine dynamische Haltung einnimmt. Eine stehende Haltung lässt sich auch gut mit bestimmten Aufgaben kombinieren, wie Telefonaten oder Besprechungen. Wie dies umgesetzt wird, hängt von der Tagesgestaltung ab. Wer z. B. bereits sitzend zur Arbeit gekommen ist, kann den Arbeitstag mit einer stehenden Tätigkeit beginnen, um die Balance wiederherzustellen.

 

Ergonomische Hilfsmittel in der Pflege

Welche Hilfsmittel unterstützen rückenschonendes Arbeiten in der Pflege?
Die wichtigsten Hilfsmittel sind:

  • Hebelifte: Für das sichere Heben und Umlagern von Patienten.
  • Hilfsmittel zum Aufrichten gestürzter Patienten. 
  • Gleitmatten: Zum Drehen oder Umlagern von Patienten im Bett.
  • Verstellbare Betten: Um die Arbeitshöhe anzupassen und körperliche Belastung zu reduzieren.